Werke und Texte

Tod – was kommt danach?

 

Ist nach dem Tode alles vorbei?

Die größte Sorge des modernen Menschen, das größte Problem, das seinen Geist beunruhigt und quält, ist das gewöhnlichste Ereignis oder Vorkommnis in unserem Dasein – der Tod! Gottfried von Purucker zeigt in dem folgenden Textauszug, dass sehr wohl ein tief gehendes Wissen über den Tod und die nachtodlichen Zustände erlangt werden kann.

Die Unwissenheit über den Tod ist fast universell, und abgesehen von frommen Hoffnungen, die die abendländische Religion bietet, und der schwachen, zögernden Stimme der modernen Naturwissenschaft sowie dem fast leeren Wortschwall abendländischer Philosophie weiß der Mensch nicht, wohin er sich wenden soll, um zumindest einige Andeutungen von dem Wissen darüber, was Tod ist, und über die Natur des nachtodlichen Zustandes zu gewinnen. Tatsächlich kann ein Reichtum an Wissen über den Tod erlangt werden. Diese Kenntnisse sind in den großen, oft erhabenen archaischen Weltliteraturen, den Erzeugnissen titanischer spiritueller Intellekte, zu finden. Der moderne Mensch aber glaubt nicht mehr, dass in diesen alten Schriften wahre Werte gefunden werden können, die für ihn bei seinen Wanderungen auf der Suche nach Wahrheit wertvoll wären. Sein Denken ist von den gänzlich falschen Lehren eines vergangenen und jetzt fast toten Materialismus durchsetzt. Er bezweifelt deshalb als eingefleischter Skeptiker nicht nur, dass Wahrheit überhaupt einmal gefunden werden könne, sondern er ist auch durchaus nicht sicher, dass es für ihn noch etwas anderes gibt als lediglich den Körper.

Wie erschütternd ist doch diese Konfusion und wie überaus gefährlich ihre Wirkung auf das menschliche Leben als vorherrschende, weitverbreitete Psychologie unserer Tage! Der moderne Mensch, der glaubt, der Tod sei das Ende von allem, oder der nicht sicher ist, ob der Tod alles beendet, also keine Überzeugungen in dieser Hinsicht hat, ist auf dem stürmischen Meer des Lebens moralisch steuerlos. Er sieht keinen dringenden und zwingenden Grund, warum er recht handeln sollte, wenn das Rechte zu seinem Eigeninteresse im Widerspruch steht. Ebenso scheint er anzunehmen, dass persönlicher Vorteil, Opportunismus und die Befriedigung physischer Existenz die einzige praktische Regel bilden, die er in seiner Lebensführung zu befolgen hat.

Findet sich denn aber wirklich irgendwo Auslöschung? Nein, wir finden nichts als unaufhörliche Tätigkeit in Bewegung, nichts als ständigen Wechsel, und Wechsel schließt vitale Aktivität in sich. Nichts steht für einen Augenblick still, und Vernichtung von irgendetwas ist gänzlich unbekannt. Selbst das, was wir „Tod“ nennen, ruft uns laut die Tatsache von Bewegung und Wechsel zu. „Panta rhei“ sagte Heraklit, der alte griechische Philosoph: Alles, der Mensch daher mit inbegriffen, befindet sich in einem ständigen Zustand des Fließens. Absolute Trägheit ist in der Natur und auch im menschlichen Gemüt unbekannt. Soweit wir dies erkennen können, existiert sie nicht, sie ist vielmehr ein Gebilde der Fantasie, das sich das Gemüt durch einen wunderlichen Einfall konstruiert, etwa in dem Sinne, wie humorvoll von einem „viereckigen Dreieck“ oder von einer „flachen Kugel“ gesprochen werden kann, wobei wir absichtlich Ausdrücke anwenden, deren Bedeutungslosigkeit offensichtlich ist. Wohin wir auch blicken, sehen wir Bewegung, Wechsel, Wachstum, Verfall, mit anderen Worten: Wir sehen Leben!

Unsere eigene innere Anlage, das heißt das essenzielle Selbst, das wir sind, ist ebenfalls eine Garbe oder ein Bündel von Kräften, das immer in Bewegung ist, sich niemals in Ruhe befindet und daher auch niemals „tot“ ist. Genauso kann gesagt werden: Wenn es sich um eine Garbe oder ein Bündel, also um eine zusammengesetzte Wesenheit handelt, dann währt ihre Lebenszeit so lange wie die Vereinigung dieser Faktoren. Die Faktoren selbst aber müssen für immer fortdauern, sonst würde unser Gemüt sofort verstehen wollen, wohin das, was einst war, gegangen ist und was aus ihm geworden ist. Zu sagen, eine Wesenheit sei vernichtet, erklärt nichts, es wären bloße Worte, die die schon bekannte Tatsache eines scheinbaren oder tatsächlichen Verschwindens wiederholen.

Auflösung oder das, was normalerweise Tod genannt wird, ist allen Wesen und Dingen gemeinsam, weil sie offensichtlich manifestierte Wesenheiten, also Komposita sind. Sie sind keine absoluten Wesen. Sie werden „geboren“, wachsen und erreichen mit der Zeit die Reife; sie erfreuen sich für eine gewisse Lebensfrist der vollen Blüte ihrer Kräfte, und schließlich „sterben“ sie, „lösen sich auf“ oder zerfallen in ihre Bestandteile, soweit es sich um ihren vehikularen Aspekt handelt.

Falls sich der Leser ein klares Bild von dem essenziellen Unterschied machen möchte, der zwischen der monadischen Essenz an sich und den verkörperten Wesen oder Wesenheiten oder Dingen besteht, sollte er sich vor allem immer vergegenwärtigen, dass „Körper“ aller Arten und Formen, Gestalten und Typen existieren, die charakteristische Merkmale und Besonderheiten besitzen, wodurch sich die Körper voneinander unterscheiden. Dies bringt die ungeheure Mannigfaltigkeit, den ganzen Umfang der Variationen hervor, die überall in den Welten der Manifestation oder Differenzierung wahrnehmbar sind. Der Leser sollte ferner daran denken, dass die monadischen Essenzen homogene – sehr reine – Wesen sind. Körper aber, welcher Art sie auch sein mögen, sind aus niederen, kleineren oder untergeordneten Bestandteilen aufgebaut oder zusammengesetzt. Diese niederen Körper können ihrerseits wieder in ihre entsprechenden Lebensatome unterteilt werden, auch wenn dabei beachtet werden sollte, dass diese Lebensatome selbst die astral-vitalen Vehikel sind, durch welche die essenziellen Monaden wirken oder operieren. Mit diesem Bild klar im Gemüt sollte es genügend einleuchten, dass alle Körper oder Vehikel, Hüllen oder Schalen, Häute oder Gewänder aufgrund ihrer zusammengesetzten Natur unabänderlich vorübergehende „Ereignisse“ sind. Diese zusammengesetzten, aus „Atomen“ geformten Strukturen werden von den meisten Leuten als „Wesenheiten“ betrachtet, was sie in Wirklichkeit auch sind. Sie sind jedoch lediglich zeitweilige Wesenheiten, da sie nur zusammengesetzte Vehikel oder Erscheinungen bilden. So ist es also vollkommen nutzlos und gänzlich unphilosophisch, in diesen kurzlebigen, veränderlichen und vorübergehenden „Ereignissen“ nach beständigen Individuen zu suchen. Die fortdauernden Individuen sollten nur dort gesucht werden, wo sie gefunden werden können, – oder besser sind, und zwar als die Monaden selbst.

Der Verfasser hatte immer den Eindruck, dass die Spiritisten vorrangig genau an dieser Stelle ihren Hauptfehler begehen, indem sie beständige Individuen finden wollen. Ihre Aufmerksamkeit scheint ganz auf vehikulare Erscheinungen konzentriert zu sein, im Grunde auf Körper, die sie „Geister“ nennen. Der Theosoph jedoch, dem die unermessliche Weisheit der Esoterischen Philosophie als Führer dient, gibt diesen ihre genau passenden Namen: „Spuke“, „Astralkörper“, Kâma-rûpas oder ebenso gut, doch weniger häufig vorkommend, Elementare. In ähnlicher Weise scheint der fromme, in seinen Ansichten orthodoxe Christ – wenn es diesen heute tatsächlich noch gibt –, der durch seinen Glauben an die „Auferstehung des Fleisches“ geleitet wird, anzunehmen, dass exkarnierte menschliche Wesen während des nachtodlichen Zustandes als „spirituelle Körper“ in den unsichtbaren Welten existieren.

Sooft die Aufmerksamkeit auf die vehikulare Seite des Seins konzentriert ist, werden körperliche Formen oder Gestalten für die wirklichen Individuen gehalten. Kein größerer Fehler aber könnte begangen werden, weder im Hinblick auf Naturtatsachen noch im Hinblick auf religiöse oder philosophische Lehren. Nicht Körper, Form oder Gestalt oder das, was in der Esoterischen Philosophie Rûpa genannt wird, ist die essenzielle Individualität, der Born und die Quelle der Intelligenz, des Intellekts, des Gefühls, der ethischen Intuitionen oder anderer Attribute und Qualitäten des Geistes. Dies ist die spirituelle Monade oder die immerwährende, ewig fortbestehende Individualität.

Es ist sehr leicht, dem krassen Irrtum zu verfallen, Gestalten, Formen oder Körper als reale Dinge zu betrachten anstelle der homogenen Monade, die diese Formen und Gestalten hervorbringt. Dies geschieht deshalb, weil wir von Formen und Gestalten umgeben sind, die dem Anschein nach vitale Charaktermerkmale besitzen. Dadurch wird unser Denkvermögen ständig verführt, das Kleid für den inneren Träger zu halten.

Eine sorgfältige Betrachtung der vorangehenden Ausführungen wird uns sofort den Trugschluss aufzeigen, der in allen exoterischen religiösen oder anderen Lehren, Doktrinen oder Ideen ersichtlich ist, die das Fortbestehen bloßer Formen oder Körper im nachtodlichen Zustand betonen. Es ist eine unerhörte Torheit, hierin nach Unsterblichkeit zu suchen. Wie schon gesagt wurde, sind unabänderlich alle Körper oder Formen, Gestalten oder Rûpas zusammengesetzte und daher vergängliche und flüchtige Ereignisse oder Erscheinungen. Sie manifestieren lediglich in größerem oder geringerem Grade die Eigenschaften und Attribute, die aus der innewohnenden Individualität hervorströmen. Dieser Punkt ist von großer Wichtigkeit, und daher wird er hier noch einmal hervorgehoben. Wenn der Schüler ihn nicht richtig erfasst, wird er niemals einen klaren Begriff von den Lehren der Esoterischen Philosophie oder der Esoterischen Tradition über die Mysterien des „Todes“ oder tatsächlich des „Lebens“ gewinnen.

Gottfried von Purucker: Tod – was kommt danach?

Gottfried von Purucker:
Tod – was kommt danach?

ISBN 978-3-924849-56-6 (Paperback)
ISBN 978-3-924849-57-3 (Hardcover)
 

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